Bruno Sutter – Objekte
Eine klare, reduzierte Formensprache kennzeichnet die Objekte des Schweizer Bildhauers Bruno Sutter. Metall, Beton und Papier setzt er zu rechteckigen schlanken hohen Stelen, flachen Quadern oder massigen Blöcken zusammen. Scharf und gradlinig lässt der Künstler grauen, gegossenen Beton, rostige, geschmiedete Eisenbrammen und bedrucktes, zersägtes Papier Schicht für Schicht aneinandergrenzen. Aus diesen Schichtungen entsteht eine unerwartet sinnliche Vielfalt klar umrissener räumlicher Objekte.
Ungewöhnlich ist der Umgang mit dem Material Papier. Sutter verarbeitet in seinen Objekten Fehl- und Probedrucke einer nahe gelegenen Papierfabrik. Die sich hier stapelnden Werbebroschüren, Kataloge, Bücher oder Verpackungskartonagen inspirieren den Künstler zu einer ganz eigenen Art des Recycling. Für jedes Objekt wählt er einen Altpapier-Stapel aus, legt diesen zwischen zwei Eisenplatten und presst ihn unter hohem Druck zusammen. Anschliessend bohrt er ein Loch durch die papierenen Schichten, führt er eine Eisenstange hindurch und verschweisst bzw. verschraubt diese mit den eisernen Deckplatten. Dann bearbeitet Sutter das Papier mit verschiedenen Sägen so, dass es sich als Block an die angrenzenden Metall- oder Betonblöcke anfügt.
Die gesägten papierenen Flächen enthüllen nun eine ganz eigene Farbigkeit aus Grautönen und zarten Farbnuancen. Der Schnitt durch das bedruckte Papier verwandelt Buchstaben, Worte und Bilder in rhythmische Streifen, in einen nicht mehr zu entziffernden Code. Eingebunden in ein starres Gerüst aus Eisen und Beton bleibt der gedruckte Seiten-Inhalt verborgen. Sutter findet hierdurch eine ganz eigene Form des Bewahrens, schafft eine neue Art von Archiv. Papier als Träger, als Medium des gedruckten Wortes, im digitalen Zeitalter sowieso nur noch ein veraltetes Auslaufmodell, bleibt in Sutters Objekten, wenn auch als unlesbares Sediment, erhalten. Nur eine Zerstörung der Objekte, ein gewaltsames Aufbrechen der Seiten, könnte den fragmentierten Inhalt wieder sichtbar machen. Damit teilen diese neuen „Bücher“ das Schicksal zahlreicher ungelesener, vergessener „Buchmeter“ in öffentlichen und privaten Bibliotheken oder Archiven. Kann ein Buch doch erst durch das Aufschlagen, das Umblättern der einzelnen Seiten lebendig werden.
Doch, wie ein verschlossenes Tagebuch, wecken Sutters verschlossene Bücher die Neugierde. Welche Druckerzeugnisse er verarbeitet, bleibt jedoch sein Geheimnis. Stolz berichtet der Künstler von der Verwendung mehrerer Bände der Brockhaus Enzyklopädie. Der „Grosse Brockhaus“ durfte als Standardwerk enzyklopädischen Wissens noch bis vor wenigen Jahren in keinem gutbürgerlichen Haushalt fehlen. 1812 unter dem Titel „Conversations-Lexicon oder enzyklopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände …“ erstmals herausgegeben, füllte das Nachschlagewerk hunderte von Regalmetern. Doch vor der Übermacht des Internets musste im digitalen Zeitalter auch „Der Brockhaus“ kapitulieren. Die Weiterführung des weltberühmten Lexikons wurde 2013 mit der 21. Neuauflage eingestellt. Welche Bände mögen wohl in Sutters verhältnismässig kleinem Objekt mit dem kecken Betonwinkel stecken? Vielleicht die von A wie Australien bis M wie Maronen oder doch die von N wie Nashorn bis Z wie Zwetschgen?
In anderen Skulpturen Sutters stecken, nach dessen Aussagen, auch weitaus profanere Druckerzeugnisse. Um dies zu überprüfen, müsste man die Werke jedoch zerstören. So ist ein warmer Honigton mit weichen, wellenförmigen Sägespuren auf Verpackungskartonagen von Nespresso-Kapseln zurückzuführen. Dessen Werbeträger George Clooney würde sich sicher über die Nobilitierung vom Wegwerfartikel zum Kunstwerk freuen.
Eine andere Arbeit verdankt seine zarten grünlichen und grauen Streifen dem Boesner Werbekatalog für Künstlermaterial. Statt der beworbenen Materialien ist hier der Katalog selbst zum Material geworden.
So birgt jedes Objekt sein Geheimnis. Die zarte Farbigkeit der zersägten Papierschichten bildet zudem einen reizvollen Kontrast zu den angrenzenden Schichten aus rostroten Eisenbrammen und grauem Gussbeton.
Bruno Sutter spielt in seinen Arbeiten mit der Umkehrung von Innen und Außen, von Form und Inhalt. Zudem erinnern seine aus Schichten zusammengesetzten geometrischen Objekte an Ablagerungen, Sedimente und Gesteinsschichten, die sich im Laufe von Jahrmillionen an der Erdoberfläche angelagert haben.
Bern, September 2013, Andrea Schmidt M.A.
Bruno Sutter Schichtungen und Sedimente in der Galerie Palais Walderdorff in Trier 2008
Eine ausgesprochen reizvolle Ausstellung zeigt derzeit die Gesellschaft für Bildende Kunst.
Schicht um Schicht kann im Palais Walderdorff mit den Augen abtragen, wer sich in die Arbeiten von Bruno Sutter vertieft.
Trier. (er)man kann schon ins Grübeln kommen angesichts der Arbeit von Bruno Sutter. Auf den ersten Blick wirken die Klötze und Streifen aus Holz, Papier und Textil ganz unauffällig. Und auch die serielle Anordnung in einem grossen Wandbild hat man schon gesehen. Doch dann, bei näherem Hinsehen, entdeckt man die Vielfalt der Schichten, die Ordnung in der scheinbar bunten Zufälligkeit. Und je länger man schaut, desto mehr ist man in Anspruch genommen, all diese Schichten zu entziffern, die an Erdschichten und Jahresringe erinnern. Denn nichts anderes als bunte vielfältige Chiffren, die sich zum grossen, ästhetisch sehr reizvollen Gesamtbild - mag sein zur Gleichung - Leben einen, sind die Klötze und Längsstreifen des Schweizer Bildhauers, der von sich selbst sagt, das Gehabe eines Forstmannes, der ja auch mit Jahresringen umgehe. Dem Forstmann mag man bei den Objekten in Trier noch den Forscher hinzufügen, der dem Erdzeitalter und seinen Schichten nachgräbt. Was Menschsein bedeutet, findet sich in ihnen wieder, das bunte schillernde Leben, die dunkle, manchmal zarte, zuweilen rohe Natur. Oben im ersten Stock kommt gar ein poetisches Blau auf, die Farbe der Traumdeutung wie der Traumwanderung.
Sutters Arbeiten betrachten, die gleichermassen Bildschichtung wie Schichtbilder sind, ist ein wenig so wie seine eidgenössischen Schriftsteller-Kollegen Adolf Muschg oder Urs Widmer zu lesen, die fast beiläufig von den kompliziertesten menschlichen Verhältnissen berichten. Es ist fast immer der zweite Blick, der tiefere, der an den Tag bringt, was sich unter der menschlichen Oberfläche verbirgt. Und so ist es auch mit Sutters Blöcken und ihren Schichtungen. Je mehr man sie ergründet, desto mehr findet man sich in ihnen wieder, bekommt gar Lust zum Umschichten und zu neuen Ordnungen. Sutter selbst mag dieses Spiel viele Male gespielt haben!
Alltagssedimente
Bruno Sutter arbeitet mit Holz: Holz in seiner natürlich gewachsenen, zum Baumaterial verarbeiteten oder zu Papier aufbereiteten Form. Papieren türmen sich die Objekte aus dem Werkzyklus "Sedimente/Schichtungen" in die Höhe, lagern sich in die Breite. Blatt für Blatt. In seinen aktuellen Arbeiten entwickelt der Künstler die organische Formensprache des natürlich gewachsenen Holzes weiter. Den Jahrringen entspricht die verhalten bunte Melodie des rhythmisch geschichteten Papiers. Und wie die Jahrringe von den Witterungen vergangener Jahre berichten, von Wachstum und Stillstand, dokumentieren die geschichteten Farbklänge unser täglich Papier - sie sind "aufschluss-reiche" Sedimente unseres Alltags.
Im Atelier warten die papierenen Sedimente auf die weitere Bearbeitung: Die zwischen zwei Eisenplättchen gepressten Karton- und Papierstücke - hie und da setzt eine faserige Jute Akzente - wird Bruno Sutter mit der Motorsäge in Form bringen. Je nach Beschaffenheit des Papiers - Leimung, Dichte, Oberflächenbehandlung - schliesst die Motorsäge unterschiedlich ausfasernde oder glatte Flächen auf.
Zeitungsgrau, Tobleronenrot, Stellenanzeigerorange, Telefonbuchweiss oder Kalendergrün komponiert Sutter die Ablagerungen unseres papierverpackten Alltagslebens. Er konserviert Heutiges, speichert es, indem er Papier- und Karton sedimentiert, schichtet, lagert, stapelt. Was wir wissen wollen, worin wir blättern, wonach wir suchen, wie wir unsere Zeit verbringen, wonach uns gelüstet steht zwischen zwei eisernen Buchdeckeln geschrieben. So schafft der Künstler geheimnisvolle Lebensbücher, Sedimentbrocken eines lebendigen Gesteins. Am Ende dieses Werkprozesses steht das Paradoxon einer Vergänglichkeit, die das Kleid steinerner Ewigkeit trägt.
Sarah Pfister, Kunsthistorikerin, Bern